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Und Schluss: Berlinale is over!

Pernille Fischer Christensen, „La  Prière“ (s. meine Besprechung vom Dienstag, den 20.2.) und der amerikanische Wettbewerbsfilm „Don’t worry,  we won’t get far on foot“ von Gus van Sant. Alle drei Filme haben mich tief bewegt und wirken immer noch nach. Sehenswert war außerdem: "Generation wealth“ (Wettbewerb) von der amerikanischen Fotografin Laura Greenfield. Yours in sisterhood“ (Forum) ist als Filmidee sehr originell, aber leider in seiner Machart ermüdend.Von "Education Paris - Mes provenciales" möchte ich schweigen. Der Schwarz-Weiß-Film ist nicht einer Besprechung  wert. Er ist einfach zu selbstverliebt in die Depression des jungen Filmstudenten in Paris und langatmig, lähmend, einschläfernd! Axel, einer meiner beiden Begleiter an dem Abend, ist zu Recht eingeschlafen und hat gemütlich den Kinosaal beschnarcht!

 

Uganda Astrid, mein Favorit!

 

Ein großartiger Film über die schwedische Schriftstellerin Astrid Lindgren, die erfolgreichste Kinderbuchautorin der Welt. Taschentücher mitnehmen!

 

Im Fokus: Ihr Leben in jungen Jahren als Tochter einer großen Familie auf dem Land. Astrid Lindgren wird brillant gespielt von Alba August. Den Namen sollte frau sich merken.

 

Wer das Buch der Autorin über ihre Kindheit und Jugend kennt,  der muss feststellen, dass nicht alles so idyllisch war wie in ihrem zauberhaften autobiographischen Text dargestellt. Der Film zeigt das Leben der jungen Frau in ärmster Umgebung in einer großen Familie, ganz und gar geprägt und bestimmt durch die harte körperliche Arbeit auf dem Land und die Zugehörigkeit zum rigide praktizierten protestantischen Glauben. In wohl keinem anderen europäischen Land hat sich die lutherische Lehre so stark und nachhaltig als Staatsreligion ausgebreitet, wurde so christlich fundamentalistisch gelebt  wie in Schweden.

 

Der Film erzählt spannend und unterhaltsam, wie sie Volontärin wurde, wie talentiert, mutig und unkonventionell sie war. Und  was es bedeutete im damaligen Schweden für eine 18-Jährige von einem verheirateten Mann, zumal ihrem Chef, schwanger zu werden, das Kind heimlich in Dänemark zur Welt bringen zu müssen und  wie steinig, unbarmherzig ihren folgenden Lebensjahre waren, ohne Mittel, ohne Schutz, abgelehnt von den Eltern, voller Schmerz, weil  ihr Sohn Lasse bei einer dänischen Pflegemutter untergebracht werden musste. Astrid Lindgren hat diese Jahre überlebt. Ihren Sohn hat sie nach einiger Zeit zu sich genommen und später noch eine Tochter (von ihrem Ehemann Lindgren) geboren. Wer weiß, ob es die Kinderbuchautorin jemals gegeben hätte, wenn sie diese dramatische Zeit nicht erlebt hätte. Zum Anfang und zum Ende des Films sieht man die alte Astrid Lindgren wie sie Briefe von Kindern öffnet, die ihr zum Geburtstag gratulieren – mit wunderbaren Zeichnungen, besprochenen und besungenen Cassetten.

 

„Don’t worry, we won’t get far on foot“ von Gus van Sant

 

Dieser Film erzählt von einem  amerikanischer Alkoholiker: Wie er zu sich, zu einem guten Leben  findet: Vom Säufer zum trockenen querschnittsgelähmter Mann,  der seinen Frieden macht mit seinem Leben, seiner Vergangenheit, mit seiner Mutter, die ihn nach seiner Adoption freigegeben hat und die er nie kennenlernen wird.  Großartig, wie die einzelnen Schritte bis zu seelischen Heilung beschrieben werden, mit einfachen Mitteln.

 

Der Film „Generation wealth“ (Wettbewerb) von der amerikanischen Fotografin Laura Greenfield ist eine Langzeitstudie über Menschen in den USA, die reich werden wollten, es teilweise auch wurden, häufig durch ihren Traum vom Reichtum ihr Leben ruinierten. 24 Jahre hat die Regisseurin diese Menschen begleitet, interviewt, sie zu ihren Erfahrungen befragt – nicht nur in den USA, sondern auch in Asien oder auf Island. Es sind junge Mütter, die ihre jungen Mädchen abrichten wollen zu „Stars“ in der Hoffnung auf den ganz großen monetären Erfolg; es sind Frauen, die ihre Körper geradezu verstümmeln lassen, um einem Schönheitsideal zu entsprechen, mit dem sich viel Geld verdienen lässt;  es ist die knallharte amerikanische Bankerin, bei der sich alles ums Geld dreht. Und es geht um einen wie den Deutschen Florian Homm, einst der erfolgreichste Hedge-Fondsmanger der Welt. Mit 22 Jahren Millionär, mit 45 Jahren US-Dollar-Milliardär. Dann der Absturz,  er steigt aus, wird in Italien gefasst und ins Gefängnis gesteckt. Heute kann man sich auf youtube von ihm beraten lassen in Finanzfragen („Homm spricht Klartext“).  Auf der Berlinale stand er nach der Filmvorführung mit der Regisseurin und anderen auf der Bühne, um sich den Fragen zu stellen. Der Mann gibt sich mittlerweile geläutert, bezeichnet sich als Christ, engagiert sich sozial.  In dem Film kommen auch seine zwei Söhne zu Wort. Wie findet man seine eigenen Werte, wenn der eigene Vater Milliardär war, im Knast und sein ganzes Leben dem Reichwerden gewidmet hat?

 

Zum Schluss des Films werden ausschließlich die „Aussteiger*innen“ und die Gescheiterten, die Geläuterten gezeigt:  die verstanden haben oder bitter erfahren mussten, dass  ihr Ziel reich werden zu wollen oder nur für den Reichtum zu leben, ihre Leben zerstört bzw. nicht zum erhofften Glück geführt hat . Dass ganz andere Dinge, Werte  wichtig sind, Liebe, Freundschaft, Familie, Solidarität.  

 

Das ist natürlich Balsam für die Seele, wenn die „wahren Werte“ als Sieger*innen des Films hervorgehen.  Aber regiert wird die USA von einem Vertreter genau des Gegenteils. Trump taucht in dem Film übrigens auch auf. Er gehört auch genau hier hin: Geld scheffeln, Macht haben, großartig sein wollen als einzige Lebensinhalte.

 

Die Filmidee für „Yours in sisterhood“ ist super: Ausgangspunkt sind unveröffentlichte Briefe, die von Frauen in Amerika vor vierzig Jahren an die erste feministische Zeitschrift „ Ms“  geschickt wurden. Diese Briefe werden vorgelesen, teilweise von den damaligen Briefschreiberinnen selbst, dort wo die Frauen damals lebten. Die Briefe dokumentieren die damalige, brutale Lebenswirklichkeit von amerikanischen Frauen. Sie zeigen die ganze Breite der Diskriminierung und Unzumutbarungen. Sie veranschaulichen aber  auch die schon damals entfachte Debatte zwischen den einzelnen weiblichen Bevölkerungsgruppen und Schichten (weiße Frauen, afroamerikansiche Frauen, Latinas etc.).

Leider ist die einzige filmische Idee des Briefe-Vorlesens auf Dauer monoton, so bewegend, unterhaltsam die einzelnen Statements auch teilweise sind. Meine Freundin Waltraud und ich verlassen nach 60 Minuten das Kino.  Eine zweite filmische Idee wäre schön gewesen….

 

 

 

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