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Endlich Vielfalt im Kinderzimmer

Zu den „Shootingsstars“ unter den Kinderbüchern im Sortiment zählen „Stories for boys who dare to be different“ von Ben Brocks oder auch „Good Night Stories for Rebel Girls“ von zwei italienischen Autorinnen, ein Buch mit 100 Porträts von außergewöhnlichen Frauen aus der ganzen Welt. Das sind zum Beispiel zwei Bücher, die von deutschen Verlagen nicht übernommen wurden. Nach dem Motto: Dafür gibt es in Deutschland keinen Markt. Die beiden engagierten Unternehmerinnen verlegten die Bücher und beweisen das Gegenteil.

 

Berlin, Mitte Dezember 2019. Ich treffe eine der beiden Gründerinnen, Olaoulu Fajembola, bei einem POP UP Store  in Kreuzberg. Tebalou ist eines von mehreren Online-Unternehmen, die von jungen Frauen gegründet worden sind, die an diesem Tag in den Gewerberäumen von einem Mode-Start Up ihr Angebot präsentieren. 

Meine Nichte Tebogo, die ich 1982 als 20-Jährige bei meiner Botswana-Reise kennengelernt hatte, mittlerweile natürlich erwachsen, Mutter von drei Kindern und erfolgreiche Unternehmerin, war an dem Tag verhindert. Im  Gespräch erklärt uns ihre Geschäftspartnerin, wie es zur gemeinsamen Geschäftsidee kam und berichtet über ihre Erfahrungen und ihr Engagement für Vielfalt in den Bildungseinrichtungen.

 

„Was wir machen, ist wirklich sehr relevant.“

 

Olaoulu: Was ist dein beruflicher Hintergrund?

Ich bin Kulturwissenschaftlerin und habe erst in Leipzig Medienwissenschaften studiert, bin dann nach zur HU in Berlin gewechselt und habe dort meinen Magisterabschluss gemacht. Der Filmbereich hat mich besonders interessiert.

 

Wie wird aus der Kulturwissenschaftlerin eine Unternehmerin?

Da muss ich bei meiner Kindheit ansetzen. Ich bin eine schwarze Schwäbin, in Stuttgart geboren, aufgewachsen in einer großen Familie. Ich bin ein Kind der 80er Jahre. In der Zeit gab es in Deutschland wenig Bücher, in denen aus meiner Perspektive erzählt wurde. Ich hatte Eltern, die für das Thema sensiblisiert waren. Aber konkret war es so, dass es jenseits der Puppe nichts gab, was mit meiner Lebensrealität zu tun hatte. Tebbi und ich, wir Gründerinnen, sind ja beide Mütter. Doch dazu später.

 

Als Kulturwissenschaftlerin hat mich immer schon die Darstellung von deutschen Identitäten oder die Identitäten von Menschen in Deutschland interessiert. Während meines Studiums hat mich das schon beim Filmthema beschäftigt. Und auch als Projektleiterin eines Kulturvereins.

 

Wie heißt der Verein?

Afropolitan Berlin. Da geht es um Empowerment von schwarzen Jugendlichen, von  Jugendlichen of Colour, um Zugehörigkeiten, Sichtbarkeit, Perspektiven,  die sonst nicht auftauchen.

Jedenfalls kam dann noch die Identität als Mutter eines schwarzen Kindes hinzu und ich musste festzustellen, dass die Kindertagesstätten einfach sehr auf weiße Kinder eingestellt, sehr bildungsbürgerlich aufgestellt sind. Die Perspektiven von anderen sind noch unsichtbar. Mit unserem Onlineshop mischen für uns ganz bewusst in den Erziehungsbereich ein.

Ich weiß aus eigener Erfahrung, welche Bedeutung Bücher für Kinder haben. Das Buch ist ja ein respektiertes Kulturgut in Deutschland. Das höchste Kulturgut setzt Maßstäbe, es erzählt viel über die Welt. Uns war einfach klar, dass wir da was tun müssen, damit auch die Lebensrealität von anderen Kindern wie Schwarze oder Muslime sichtbar wird.

Als Tebbi und ich uns kennenlernten, wussten wir bereits in der ersten Stunde: Wir haben die gleiche Idee, haben die gleiche Problematik erkannt. Das Feuer war sofort entfacht. Dann verging noch etwas Zeit bis wir mit der professionellen Umsetzung beginnen konnten.

 

Wie kommt ihr zu den Produkten, die ihr jetzt verkauft?

 Wir gehen ganz klassisch vor. Wir besuchen Spielmessen, wir waren im Herbst 2019 auf der Frankfurter Buchmesse, wir klappern progressive Verlage ab. Teilweise  erhalten wir Empfehlungen. Es gibt auch diverse Institutionen, die ganz hervorragende Arbeit leisten, vor allem die Initiativen der binationalen Familien, verschiedene Vereine, die sich für Kinderbücher engagieren Es gibt auch immer mehr Bloggerinnen, die sich hier kümmern, zum Beispiel „Buch“, ein exzellentes Bloggerkollektiv aus der Schweiz, die sich mit Diversität befassen;  es gibt auch tolle facebook-Gruppen, die gute Arbeit leisten. Mehr und mehr erkennen sogar die Publikumsverlage, dass wir existieren, schlagen uns Bücher vor. Aber wir recherchieren auch viel in den sozialen Medien. Instagram ist  großartig, weil gerade dort viele Autorinnen ihre Produkte vorstellen, uns mehr und mehr kennenlernen und uns ansprechen.  Wir blättern Hunderte von Seiten in Katalogen durch.

 

Was wir letztlich im Angebot haben, ist handverlesen. Wir haben über 700 Produkte, davon sind mehr als die Hälfte Bücher. Vom Babyalter bis zu den Zehnjährigen. Ausgewählte Produkte gibt es auch für Jugendliche.

 

Was ist euer Eindruck: Ist Deutschland beim Thema „Vielfalt im Kinderzimmer“ Entwicklungsland? Deutschland ist ja seit den 60er Jahren ein Einwanderungsland. Da könnte ja schon einiges passiert sein….

…ja könnte! (lacht). Offiziell ist es ja so, dass Deutschland bis zu Kohls Zeiten kein Einwanderungsland war, das war Staatsräson. Insofern ist es nicht verwunderlich, dass die Realität sich bis dahin nirgendwo wiederspiegelte.

Der politische Diskurs zu Thema ist daher noch sehr jung und stößt gerade auch auf viel Widerstand. Deswegen ist es für uns auch großartig, dass uns die Bundesregierung jetzt mit diesem Kreativpiloten-Preis ausgezeichnet hat. Um der aktuellen Stimmung etwas entgegenzusetzen, muss eben auch die Arbeit von diesen Initiativen, die sich in diesem Bereichen engagieren, unterstützt werden.  Letztlich ist das auch Teil des Bildungsauftrages.

 

Das Thema "Vielfalt" wird jetzt also durchaus aufgegriffen. Allerdings wird Vielfalt bislang vor allem unter dem Genderaspekt gesehen. Gender wird verstanden. Schwierig wird es, wenn es um andere Vielfaltskriterien geht. Dass es Bücher gibt, in denen zum Beispiel behinderte Kinder eine Rolle spielen, das gibt es nicht. Kinder, die einen asiatischen Background haben, gibt es eigentlich auch nicht. Schwarze Kinder und Jugendliche „profitieren“ davon, dass sie aufgrund des visuellen Kontrastes in den Bilderbüchern noch am häufigsten abgebildet werden.

 

Unter den 800 Bewerbungen hat die Preis-Jury der Bundesregierung 2019 96 zu Finalisten ernannt. Ausgezeichnet wurden  im November 2019 dann 32 Unternehmen aus der Kultur- und Kreativwirtschaft. Ihr wart mit dabei. Was bedeutet der Preis  für euch?

Der Preis ehrt uns natürlich. Wir freuen uns, dass unser gesellschaftspolitisches Engagement anerkannt wurde. Durch den Preis haben wir ein großartiges Netzwerk. Neben den Privatpersonen sind für uns vor allem die Bildungsinstitutionen wichtig, weil uns die Vielfalt in den Einrichtungen sehr wichtig ist. Für uns ist die Zusammenarbeit mit Bildungseinrichtungen zentral, weil sich dort einfach der Querschnitt der Gesellschaft trifft. Und dort verbringen Kinder viele Stunden. Dort sollten die Kinder dann in Sachen Spielzeug und Bücher eben diese Vielfalt vorfinden.

 

Habt ihr euch bestimmte Ziele gesteckt? Soll euer Angebot weiter wachsen?

Auf jeden Fall wollen wir expandieren. Wir haben einfach soviel Material. Es gibt noch keine bzw. genügend Bücher für muslimische Jugendliche, das Gleiche gilt für Kinder mit asiatischen Background. Wir wollen Kooperationen eingehen, zum Beispiel auch mit LGBTI-Organisationen.

 

Wir sind uns unserer Grenzen bewusst. Deswegen wollen wir durch Kooperationen mit Initiativen, die in diesem Bereich sind, eingehen; mit Expertinnen zusammenarbeiten. Wir müssen auch sehr selbst viel lernen. Viele Kitas sind immer noch auf dieser Ebene „Ach, finden wir ganz interessant…“.

 

Ihr habt zwei Standbeine: Die Spielsachen, Kinderbücher. Und außerdem: Als Expertinnen den Bildungseinrichtungen Impulse zu geben.

Ja, genau. Unsere Kraft, unsere Liebe, alles generieren wir aus diesem Onlineshop.

Es ist auch wirklich so, dass wir bewegende  Begegnungen haben.  Dass wir auf Menschen treffen, die sagen, dass ihr inneres Kind heilt, weil sie auf einmal entdecken: Da, in diesem Buch, wird ja unsere, meine Geschichte erzählt!  Diese glänzenden Augen bestätigen uns nochmal die Notwendigkeit dieser Arbeit.

 

 

 

 

 

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Kommentare: 1
  • #1

    Inge Mittag aus Bremen (Samstag, 15 Februar 2020 05:40)

    großartiger Bericht. ich komme gerade aus Singapur, wo mein Neffe, der mit einer Japanerin zwei Kinder hat, lebt. Überall, wo ich hinschaue, gibt es diese Themen und es ist wunderbar, dass zwei junge Frauen ihr ganzes berufliches Engagement in dieses Projekt stecken. Hochachtung! ich unterstütze das mit Nachfrage.
    liebe Grüße
    Inge