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Schäfchenzählen im Oderbruch

Am Anfang war ein Milchschafhof….

Aber warum unbedingt zum Oderbruch? Angefangen hatte alles mit einem Artikel in der tageszeitung über den Milchschafhof Pimpinelle (www.milchschafhofpimpinelle.de) veröffentlicht in der Rubrik „Hausbesuch“ Anfang des Jahres. Da wurde ein Schafhof porträtiert, der von einem jungen Frauenpärchen gemanagt wird. 60 Schafe haben die beiden Schafexpertinnen und einen Hofladen. Da wollte ich unbedingt hin. Der Hof liegt im schönen Oderbruch, rund 35 km von Strausberg entfernt Richtung Oder. Bislang kannte ich das Oderbruch nur von der jährlichen Wanderung zu den berühmten Adonisröschen im Lebuser Land. Und natürlich den Oder-Neiße-Radweg.

 

Doch der geplante Besuch zum jährliche Hoffest im April fiel aus. Schuld war natürlich das böse C-Virus. Als dann endlich die Lockerungen einsetzten, machte ich einen zweiten Anlauf. Der Hofladen ist zwar wieder freitags und samstags zwei Stunden geöffnet, aber dennoch klappte es aus organisatorischen Gründen nicht, dort vor Pfingsten vorbeizuschauen. Also fragte ich so ganz grundsätzlich nach Übernachtungsmöglichkeiten in der Region. Die Empfehlungen vom Milchschafhof kamen prompt: der „Erlenhof“ (www.erlenhof-im-oderbruch.de) und das „uferloos“ (https://www.uferloos.de/aktuelles/) eine Art erweiterte Jugendherberge mit Zelt- und Jurteplätzen, Zirkuswagen und Naturlebniszentrum zugleich.

 

Unsere Wahl fiel auf den „Erlenhof“, weil wir dort nicht zelten mussten, sondern in einem Schäferwagen unterkamen. Überhaupt schien uns dieser Ort sehr originell. Der Erlenhof bietet ausgefallene Übernachtungsmöglichkeiten. In kleinen und großen Schäferwagen und in einer Blockhütte.

 

„Tour Brandenburg“ – ein Radweg für alle Sinne

Pfingstsonntag ging es dann los. Von Strausberg Richtung Kienitz an der Oder, immer den zauberhaften Radweg „Tour Brandenburg“ entlang. Der umrundet übrigens Brandenburg wie der S-Bahn-Ring die Mitte von Berlin.

 

Wir hätten wir uns niemals vorstellen können, was hier für ein Naturparadies wartet. Bei strahlendem blauen Himmel und satten 26 Grad radelten wir durch Wald und an farbenkräftigen Wiesen vorbei, rasteten an knallgelb blühenden Rapsfeldern oder inmitten von Mohn- und Kornblumen durchtränkten Landschaften. Um uns herum ein betörendes Vogelkonzert. Das waren keine Meisen, Amseln, Stare, Nachtigalle. Da zwitscherte einr andere Vogelfamilie. Mit meinem neuen Spielzeug, der kostenfreien App „Naturblick“, initiiert vom Berliner Naturkundemuseum, kann man jeden Vogel und jede Pflanze identifizieren. Seitdem kenne ich die Mönchsgrasmücke und auch den rötlich blühende Rainfarn. Beide sind im Oderbruch zuhause.

Wir entdecken außerdem in Kunersdorf ein Albert-Chamisso-Museum (https://www.kunersdorfer-musenhof.de/), das einzige Museum für den deutsch-französischen Botaniker, Dichter und Weltreisenden in Deutschland. Das Anwesen hat einen 9000-Quadratmeter großen Garten. Dieser "Musenhof" hat eine beeindruckende Geschichte, an der viele Frauen beteiligt waren. Hier war Chamisso Anfang des 19. Jahrhunderts gelegentlich zu Gast und verfasste auch seine berühmte Erzählung „Wundersame Geschichte des Peter Schlemihl“. Der Protagonist verkauft in dieser Geschichte dem Teufel seinen Schatten. Dadurch wird er heimatlos, wandert mit Siebenmeilenstiefeln durch die Welt und findet erst als Naturforscher und Eremit Ruhe.

 

Der Kunersdorfer Musenhof wurde 2007 mit künstlerischen Veranstaltungen wiederlebt, nun droht diesem durch den Corona-Virus die Schließung. Hoffentlich gibt es Rettung. Gerade solche kulturellen Initiativen im ländlichen Raum sind eine so große Bereicherung.

 

Weniger schön: Die vielen Denkmäler unterwegs, die vor allem an die grausame Schlacht am Ende des Zweiten Weltkrieges im Oderbruch erinnern, aber auch an den ersten Weltkrieg, sogar an den Krieg gegen Napoleon. Unschön ist natürlich nicht das Gedenken an sich, sondern wie an Krieg und Zerstörung erinnert wird: Das Militärische, der Heldentod wird stilisiert, in Kinietz sogar mit einem richtigen „Panzerdenkmal“  als gäbe es keine andere geeignete öffentliche Form des Gedenkens, an Krieg zu „erinnern“. Insofern sind all diese Denkmäle selbst historische Zeugnisse.

 

Ankunft im Erlebenhof

Nachmittags erreichen wir glücklich und gut gebräunt den Erlenhof. Wir haben natürlich keine Ahnung, was uns erwartet. Wir betreten ein Privatgrundstück mit zwei Häusern, drum herum blökende Schafe und die diversen Schäferhüten, zwei freundliche Hunde kommen auf uns zu. Vor jeder Schäferhütte gibt es einen eigenen „Vorplatz“ mit Tischen und Stühlen.

 

Die Schafe sind sogenannte Skudden, eine alte ostpreussiche Schafrasse, die auch als „Heideschnucken der Masuren“ bezeichnet werden, das entnehme ich dem Flyer. . Der Erlenhof, wie er heute ist, entwickelte sich erst im Laufe der Jahre und feiert dieses Jahr sein zehnjährliches Bestehen, erzählt uns der freundliche Gastgeber Karl-Heinz später.

 

Wir müssen eine Weile warten bis wir unseren Schäferwagen beziehen können. Eine große Gruppe von Radlern macht hier gerade Zwischenstation, Barbara und Karl-Heinz haben alle Hände voll zu tun.

 

Unser Schäferwagen ist gewissermaßen ein Schlafwagen. Es gibt nur Platz für eine Matraze und ein ganz bisschen Abstellbereich für die Fahrradtaschen. Frau darf hier keine Platzangst haben und sollte es kuschelig mögen. Wahrscheinlich war ursprünglich nur ein Schäfer und ein Hund im den Wagen, für zwei Menschen ist es sehr knapp. Egal. Eine Nacht geht auch so. Wer Schlafprobleme hat, kann es mit Schäfchenzählen versuchen...

 

Die Oder und damit der Oder-Neiße-Radweg sind vier Kilometer vom Erlenhof entfernt. Wer noch zu Abend essen will, muss um 17:30 Uhr irgendwo ein Plätzchen gefunden haben in den sehr wenigen Restaurants in der Umgebung. Im Grunde kommt nur eines infrage, der „Gasthof zum Hafen“. Wir finden dort  Platz in der prallen Sonne.  Und sind bezaubert von der absoluten Idylle an der Oder. Auf der polnischen Seite, auf so einer Art Mittelstreifen, sieht man einige Pferde weiden.

 

Eine Entdeckung: Das Uferloos

Beim anschließenden Spaziergehen entdecken wir zufällig, was wir uns eigentlich erst an nächsten Tag anschauen wollten: das „Uferloos“, den Naturerlebnishof mit wunderschönem Garten, Zeltplätzen, Jurten, Zirkuswagen. Hier kann man auch Kanus ausleihen und einfach Urlaub machen. Man sieht junge Familien, aber auch alleinreisende Erwachsene, Paare. In Fußnähe befindet sich ein schönes Café, die Hafenmühle, mit Blick auf die Oder.

 

Abends kommt Karl-Heinz  zu uns und fragt, wie es uns gefällt. Und erzählt die Geschichte vom Erlenhof. Angefangen hat alles 2003, da arbeiteten noch beide in Berlin. Mit ihren Eltern haben sie das Grundstück gekauft und eine Blockhütte gebaut.  Eine der ersten Maßnahmen war die Anschaffung von Schafen. Das sind prima Rasenmäher! Viele Jahre sind sie gependelt, waren tanzbegeistert, einige ihrer Gäste sind Freunde aus dieser Zeit.  Noch immer hört man Tanzmusik, wenn man morgens oder abends an ihrem Esstisch vor ihrem Haus vorbeigeht. Früher haben sie auch auf dem Erlenhof Tanzfeste veranstaltet und Musiker in den Oderbruch geholt.

 

Karl-Heinz weiß alles über das „Binnendelta“ der Oder und erklärt mir auf einer Karte wie die Oder früher aussah bevor das Delta von Friedrich dem Großen trockengelegt wurde. Ich frage nach den Beziehungen zwischen den Höfen im Oderbruch. Dann erzählt er: „Wir sind hier alle sehr gut vernetzt. Das ist nicht selbstverständlich im ländlichen Raum“.

 

In „Barbara‘s Laden“ kaufen wir ein Skudden-Schaf-Fell, ein kleines Kuschel-Schaftier, Schafpostenkarten und Schafseife.  Barbara managt nicht nur en Hofladen und die Anmeldungen, sondern veranstaltet hier regelmäßig Kaffeeklatsch, alle zwei Wochen nur für Frauen. Dann gibt es – in „normalen“ Zeiten auch Veranstaltungen wie „ganz schön belämmert“.

 

Der Europaradweg (R1)– ein Radweg zum Träumen.

Zum Abschied erhalten wir noch ein Geschenk: Barbara überreicht uns einen Bienenblumen-Saatmix. Wir können, wenn wir wollen, zu Bienenretterinnen werden.

 

Wir brechen Richtung Sophiental auf, das Skudden-Schaf-Fell oben auf einem Gepäckträger, irgendwie gemütlich. Nochmal vorbei an dem unsäglichen Panzerdenkmal in Kinietz, der Verherrlichung des Militärischen mitten in einem Dorf. Heute befahren wir den R1, den Europaradweg, der geht bis nach Calais. Wir radeln Richtung Neuhof, dazwischen das Städtchen Letschin mit viel Fontanegeschichte (hier entstand sein Roman „Untern Birmenbaum“). Das Fontanejahr ist zwar vorbei. Aber irgendwie ist man nie fertig mit dem Dichter, der sich selbst als „Empfindling“ bezeichnet hat. Ob frau will oder nicht, wer in Brandenburg unterwegs ist, stößt früher oder später auf Spuren von Fontane. Nicht nur in Neuruppin, sondern eben auch im Oderbruch.

 

Von Fontane stammt dieser schön Satz, sein Leben sei „voller dankbarem Staunen“ gewesen. Dankbares Staunen. Das habe ich auch bei dieser Tour empfunden. Überall ist Neues zu entdecken und zu bestaunen. Immer wieder halten wir ehrfurchtsvoll an, weil wir ein Storchnest entdecken, beobachten die großen Tiere im Nest, warten bis sich was Kleines regt im Horst, bis Schnäbel für einen Augenblick sichtbar werden.  

 

Zu unserer großen Freude hat das Café im Schloss Wulkow geöffnet. Das ist eigentlich ein reines Hochzeitsschloss. Aber in den letzten zwei Monaten war hier natürlich nichts los, deswegen haben sie das Café jetzt für die Allgemeinheit geöffnet. Wir essen köstlichen Rhabarbarkuchen und genießen nach dem Schäferwagen, dem Gasthof an der Oder, der Stille nun eine Zeit im Schloss-Café.

 

Umso näher wird nun der Märkischen Schweiz kommen, desto mühseliger wird alles. Klar! Der Name der Gegend ist ja nicht zufällig. Es geht dauernd bergauf, vorbei an der Pritzer Mühle und dem beliebten "Waldcafé". Die letzten Meter bis zum berühmten Buckow mit dem Schermützelsee und dem Brecht-Weigel-Haus sind kein Spaziergang.

 

Im Strandbad Schermützelsee hängen überall Schilder „Baden verboten“, das befremdet. Kinder baden trotzdem und eine handvoll Erwachsene. Ich gehöre auch dazu. Das war ja mein Ziel in den letzten Stunden: Badengehen!

 

Vorbei ist es hier natürlich mit der Stille, hier stapeln sich die Menschen. Vom Virus hat hier vielleicht noch nie jemand was gehört. Mal abgesehen vom Badeverbot: Wer seine Ruhe haben will beim Baden, sollte lieber in der Umgebung, in Garzin oder Rehfeld, ins Wasser tauchen.

 

In Strausberg steigen wir an der S-Bahn Hegermühle wieder in den Zug ein und sind glücklich erledigt. Nach zwei Tagen Stille, Naturerlebnis pur, Entdeckungen nonstop, rund 110 Kilometer Radeln fällt es schwer, sich wieder in der Großstadt einzufädeln. Wir könnten sofort wieder losradeln. Immer den Europarad entlang. Vielleicht bis nach Calais??

Aber vielleicht erstmal bis zum Milchschafhof Pimpinelle in Quappendorf. So fing ja alles an...

 

 

 

 

 

 

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Kommentare: 1
  • #1

    Franziska Zuber (Sonntag, 07 Juni 2020 18:39)

    Ich lese deine Texte wirklich sehr gerne, so voller Schwung...