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Auf nach Kakeldütt!

Endlich am Ursprung. Auf einmal ist alles anders. Die Luft so klar, der Himmel so hoch und die Stille nur vom Geräusch der Landschaft unterbrochen. Der Blick streift weit und hält inne im Schattenspiel der Bäume, taucht ein in den Wellenschlag der Seen und verliert sich in den Wolken, die hoch oben über die Wiesen ziehen. Alle Wege führen ins Grüne…Der Alltag bleibt am Wegrand zurück. Am Horizont winkt das Abenteuer.

 

 

 

Liebe Freunde des Marketings: Das habt ihr schön geschrieben. Denn diese poetischen Sätze stammen aus einer kleinen Broschüre über Gastgeber von 13 Dörfern rund im „Havelquellreich“. Sie informiert über diese ganz besondere Gegend im Nationalpark Müritz. Dort, wo der Ursprung der Havel liegt. Von dort nimmt sie ihren Weg durch eine „Wunderwelt aus 320 Seen.“ Das muss man erstmal schaffen. So viel Wasser!

 

Durch diese Wunderwelt sind wir neulich bei unserem dritten Ausflug hindurchgeradelt. Immer unter dem Motto "Warum in die Ferne schweifen?". Unsere letzte Reise ging nach Havelberg: Dort, wo die Havel in die Elbe mündet. Und jetzt waren wir halt mal dort, wo die Havel ihren Lauf nimmt. Zurück zum Ursprung. Hört sich doch gut an. Zurück zum Ursprung kann nicht verkehrt sein.

 

 

 

Um eines gleich vorweg zu sagen: Zwei Themen bleiben uns auch bei diesem Ausflug treu die Orientierungsschwierigkeiten beim Finden des richtigen Radweges trotz Kartenmaterial und Apps! Und die Sorge, abends bei trockenem Brot von einem schönen Abendessen zu träumen… Beides hört sich lustig an. Ist es aber nicht. Sich verfahren und Hunger haben bei 30 Grad ist gar nicht lustig!

 

 

 

Der Reihe nach …mit dem Zug nach Neustrelitz

 

Wir fahren mit einem IC nach Neustrelitz. (Für alle Sparfüchse: Hier gilt auch noch das Berlin-Brandenburg-Ticket. Für zwei Personen kostet die Strecke pro Nase nur 12,50 Euro). Neustrelitz ist bekannt als Residenz- und Herzogsstadt, war schon zu DDR-Zeiten ein beliebter Ort zu heiraten und auch noch heute geben sich viele hier das Ja-Wort. Auch aus Berlin. Gerne auch Homopärchen. Diese Zielgruppe wird von der Stadt geradezu umworben. Als wir am Rathaus vorbeiradeln, sehen wir dort eine große Regenbogenfahne gehisst. Sieht aus wie eine Aktion von CSD-Aktivisten. Ist es aber nicht. Ist ganz offiziell. Die wissen wie Marketing geht.

 

 

 

Bei brüllender Hitze verlassen wir also an einem Freitagmittag das schöne Neustrelitz und fahren los, es geht  nach Mallin, einem Seelen-Dörfchen. In Neubrandenburg war schon alles ausgebucht. Ach ja, eigentlich wollten wir zum Feldbergsee. Auch dort alles dicht. Meine findige Begleiterin findet ein Ökohaus in Mallin, rund 2,5, vom großen Tollensesee entfernt. Ganz oben im Norden vom See liegt ganz und gar idyllisch Neuhardenberg. Guter Plan. Los geht‘s.

 

 

 

Nach rund einer Stunde müssen wir uns entscheiden, wo wir weiterfahren wollen. Dieses Mal haben wir eine sehr gute Karte mit und natürlich meine Komoot App. Das soll ja die beste Wander-und Radfahrer-App überhaupt sein.

 

Ich bin mir ganz sicher, wo es langgeht und bestehe darauf, dass wir geradeaus weiterfahren. Ich habe so eine ganz hübsche Tasche für mein Rad geschenkt bekommen, da liegt die Landkarte drin. Mit professionellen Augen habe ich alles im Blick!

 

Meine Begleiterin ist im Prinzip nicht davon überzeugt, dass es weiter geradeaus geht. Aber sie möchte nicht gleich am Anfang Recht haben. Und streiten. Vielleicht will sie mir beim Kartenlesen auch eine Chance geben. Das Ergebnis ist jedenfalls, dass wir bei 32 Grad unsere Räder durch sandige Wege schieben, hier fährt kein Mensch Rad, alles menschenleer. Eine einzige große Kuh begegnet uns, die glotzt uns an als hätten wir nicht alle Taschen im Schrank.

 

 

 

„Das wird jetzt ganz schlimm“, schimpft meine Begleiterin von hinten mit puterrotem Kopf. „ Wir schieben jetzt sieben Kilometer mit unseren Rädern durch diese Affenhitze. So ein Mist! Ich wusste doch,  dass es nicht geradeaus geht!“

 

Eigentlich hätten wir gleich wieder nach Hause fahren können, so schlecht ist die Stimmung.

 

Ich schweige und denke: So, jetzt atmen und schieben. Reden später. Alles geht vorbei. Auch das.

 

Wir überstehen diese Krise. Nach vier Kilometern können wir sogar wieder auf die Räder steigen und fahren vorsichtig durch diese karge, vertrocknete Landschaft und es gibt auch etwas Schatten.

 

Danach ist eines klar: Ich möchte beim Landkarten-Lesen nie wieder recht haben wollen.

 

 

 

Unser zweites treues Thema: Die Sorge, den Abend mit leeren Magen in der Pampe zu sitzen.  Meine Angst ist das eigentlich nicht, aber ich kann nicht von der Hand weisen, dass dieses Risiko an diesem Tag wirklich besteht.

 

 

 

Da wir nicht wissen, ob es in der Umgebung unserer Unterkunft, dem Landhof Meierei in Mallin, etwas zu essen gibt, speisen wir „präventiv“, am späten Nachmittag in Angershagen, das ist eines dieser Havelquellreich-Dörfer (s. oben). „Silberschälchen“ heißt das Fischrestaurant.

 

Wir sind vom Radeln bei der Hitze so hungrig und durstig, dass wir erst gar nicht nach Preisen fragen und stürzen uns auf das Essen. Wenn ich es richtig sehe, hat der „Bio-Tomatensalat“, ein kleines Schälchen, 7,50 Euro gekostet. Der Besitzer ist jedenfalls ein Geschäftsmann, auch ein großer Angler und gibt uns einen Flyer in die Hand, der über seine Ferienwohnungen Informiert. Jedenfalls haben wir in unserer Gier eindeutig zuviel Geld ausgegeben und denken, na ja. Das ist jetzt unsere Unterstützung des ländlichen Raums...Das war dann halt schon unser Abendessen. Es gibt ja ohnehin nichts mehr…. Gegen 18:30 Uhr landen wir mit hängender Zunge auf dem Landhof Meierei, wo wir zwei Tage in isem Ökohäuschen übernachten.

 

Landhof Meierei: Idylle mit ein paar Haken

 

Der Landhof ist sehr großzügig. Hier weiden rund 25 Pferde, 30 Hühner gackern auf dem Gelände herum, ein nie bellender gemütlicher Hund liegt in der Sonne und gähnt, eine Katze präsentiert stolz ihre gefangenen Mäuse. Hier kann man vier Zimmer mieten oder Ferienwohnungen. Die vier Zimmer sind in einem sehr schönen, neu gebauten Ökohaus. Alles geräumig und schön.

 

Die Stille hier und die Weite sind überwältigend.

 

 

 

Wir werden sehr herzlich empfangen.

 

Vor der Pferdekoppel ist so eine Art Outdoor-Restaurant aufgebaut. Es gibt frisch gezapftes Bier, einen Backofen, aus dem leckerer Flammkuchen und Pizza herauskommt. Es gibt Salate, leckere Würstchen und weiteres Fleisch. Soweit zur Sorge, kein Abendessen zu bekommen… Immer freitags gibt es dieses Angebot für die Gäste. Und die finden sich ein wie verabredet.

 

 

Nach stundenlangem Radeln in der Hitze wollten wir ursprünglich zunächst duschen. Aber wir gönnen uns erstmal ein gezapftes Bierchen und bewegen uns danach nur noch zum Besteck oder zum Backofen. Wir sind begeistert von dieser Umgebung und genießen das völlig ungezwungene Miteinander mit den anderen Gästen, viele junge Familien mit kleinen Kindern. Für die gibt es dann noch ein Lagerfeuer, obwohl es eigentlich heiß genug ist. Stolz halten die Kleinen ihr „Stockbrot“ ins Feuer.

 

Eine stämmige junge Frau kümmert sich um uns und wir kommen mit ihr ins Plaudern. Sie hilft hier freiwillig, im Hauptberuf ist sie Orthopädietechnikerin. Vor allem kümmert sie sich um die Pferde. Die Frau, die den Backofen bedient, ist wahrscheinlich die Besitzerin vom Landhof. Vermuten wir. Sie sieht so gesund aus und hat eine so beeindruckende Ausstrahlung, dass wir gerne wüssten, ob man auf dem Land leben muss, um so auszusehen.

 

 

 

Einmal um den Tollensesee herum

 

Sonnabendfrüh. Wir hatten uns das gemütlich vorgestellt. Einfach um den See rumradeln, in Neuhardenberg am frühen Abend essen gehen und zurück zu unserem Landhof.

 

Nix war gemütlich. Es sind rund 37 Kilometer, die man radeln muss. Eigentlich keine Entfernung. Nur: bei 32 Grad und den vielen Hügeln hängt einem nach zwei Stunden die Zunge schon am mecklenburgischen Boden!

 

 

 

Ich musste an einen Film von Pedro Almodovar denken: In einem seiner Filme vergleicht er Deutsche und Spanier. Was machen die abends? Die Spanier tanzen Tango, schwofen und feiern; die Deutschen arbeiten verbissen bis spät abends! Von nichts kommt nichts!

Was würden die Spanier bei so einer Hitze tun? Na spätestens ab 12 Uhr irgendwo am See chillen! Und wir, wir radeln bis uns der Kopf platzt vor Hitze, weil wir uns vorgenommen haben, um den See zu radeln. Deutsch sozialisiert zu sein, gleicht manchmal einer Spaßbremse. Meine Begleiterin findet das super, sich so zu fordern, sagt sie später. Sie braucht Bewegung. Ja, ja. Ich auch. Aber ich liege auch gerne im Schatten, wenn es 32 Grad sind oder tauche ins kühle Wasser.

 

Wie dem auch sei.

 

 

Wir kommen an vielen schönen Häusern und sehr gepflegten Gärten vorbei. Wir genießen, dass es keine Motorboote gibt, keinen Lärm, es ist einfach immer still.

 

 

 

Traurig ist nur: die Natur ist so vertrocknet, dass einem das Herz blutet. Riesige Sonnenblumenfelder wirken wie tot, die Blumen lassen ihre vertrockneten Köpfen hängen. Die Blätter der Bäume fallen schon ab, als wäre Herbst. Ein dramatisches Trauerspiel.

 

 

 

Als wir kurz vor Neustrelitz sind und an einem großen Strandbad vorbeifahren, entdecken wir Freunde von mir. Ich rufe laut, keiner hört mich. Ich renne ihnen hinterher, Umarmung mit Abstand und dann werden wir prompt zu Kaffee und Kuchen eingeladen von meinen Freunden und dem netten Pärchen. Die zwei wohnen direkt gegenüber vom See! Glück muss frau haben. Wir werden köstlich bewirtet und ziehen nach einem Stündchen weiter. Immer um den See rum.

 

 

 

Auf einem großen Campingplatz springen wir zum letzten Mal ins Wasser. Hier ist es am schönsten. Es gibt sogar Wellen, als wären wir an der Nordsee.

 

 

 

Abends: Große Stille. Gezapftes Bier. Absolute Idylle. Wunderschönes Abendlicht.

 

Die Pferde weiden friedlich. Die Zeit steht still.

 

 

 

Dann leider einen Dauerredner, der meint unbedingt draußen telefonieren zu müssen.

 

Keine Chance. Er hört nicht auf. Manche Menschen können die Stille nicht aushalten.

 

Meine Begleiterin verlässt mit dem gezapften Bier unsere Bank und geht zu den Pferden.

 

Um wieder mit der Stille alleine zu sein. In Neukölln ist es auch echt schwierig mit der Stille.

 

Da muss frau schon einen Vorrat ansammeln.

 

Ich kümmere mich um den Vielredner. Der lässt sich aber nicht besonders beeindrucken, redet weiter. Etwas leiser. Aber mit der Stille ist es vorbei.

 

 

 

Unterwegs von Mallin zurück nach Neustrelitz:

 

Beim Frühstück am Sonntagmorgen bekommt diese Idylle ihren zweiten Kratzer: Nicht, weil mir einer der Hähne mein Brötchen aus der Hand pickt, was nicht schön ist, sondern weil wir gezwungen sind, Gesprächsfetzen vom Nebentisch mitzubekommen. Am Tisch gegenüber sitzt der beleibte Vielredner von gestern Abend. Daneben der Besitzer vom Hof und eine Frau, vermutlich die Putzfrau. Sie schimpft in einer Tour und zwar durch und durch rassistisch. Niemand an dem Tisch erwidert etwas. Es ist unerträglich. Ich kämpfe mit mir, ob ich aufstehe und etwas sage. Ich bleibe sitzen. Und denke mir: Ja, die ländliche Idylle kann schnell vorbei sein. Es gibt schon Gründe, warum ich in Berlin wohne. Natürlich gibt es auch in Berlin Rassisten. Aber auf dem Lande kann man ihnen schwerer aus dem Weg gehen.

 

 

 

Unseren ursprünglichen Plan, 68 Kilometer nach Templin zu radeln, um dort dann in einen Zug zu steigen, der nicht von der Ostsee kommt, knicken wir. Es ist zu heiß für so diese Entfernung.

 

 

 

Was noch?

 

Überall in Mecklenburg-Vorpommern, an allen Tagen, treffen wir freundliche Menschen (Ausnahmen: siehe oben), Einheimische und Touristen.

 

Wir plaudern mit einem älteren Ehepaar aus Stuttgart, die glücklich in „Schwedenhäusern“ untergebracht sind. Wir treffen in Kratzeburg in einem Imbiss, gleichzeitig Kanuverleih, ein junges Pärchen, dass fünf Tage paddeln möchte, jeden Tag wird es auf einem anderen Campingplatz übernachten. Wir treffen eine junge Hamburgerin, die sich in Kakeldütt für zwei Wochen in einem Bootshaus einquartiert hat. Sie ist gerade angekommen. Urlaub im Bootshaus, das geht so: man mietet eben so ein kleines Bootshaus, da passen zwei Leute rein, vorne liegt das allzeit bereite Kajak und hinten raus ist ein Garten. Hört sich toll an.

 

 

 

Unser Abschluss: Endlich finden wir ein tolles Fischrestaurant, direkt mit Blick auf den Zierker See, 10 Minuten von Bahnhof Neustrelitz entfernt. Es gelingt uns tatsächlich um 20 Uhr in die Regionalbahn zu kommen mit Rädern. Meine Begleiterin hatte natürlich Schlimmstes befürchtet, auch hier waren ihre Bedenken im Prinzip berechtigt.

 

 

 

Das Wort „Corona“ haben wir übrigens drei Tage lang so gut nie gehört. Auch davon hatten wir Urlaub. Was will man mehr?

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