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Neu: Der Roman "Das Brombeerkind"

Foto: Dagmar Monath

 

 

„Es ist offenbar ein langer Prozess bis ich wieder da hinkomme, meinen eigenen Fiktionen zu glauben.“ 

 

 

 

Liebe Waltraud: Solange ich dich kenne – und das sind immerhin 30 Jahre! – hast du den großen Wunsch, einen Roman zu veröffentlichen. Nun ist es Ende März 2021 soweit. Dein Roman „Brombeerkind“ erscheint. Was ist das für ein Gefühl, wenn so ein sehnlicher Wunsch in Erfüllung geht?

 

Ich bin noch ganz überrascht, dass das geklappt hat. Ich arbeite ja an diesem Roman seit ungefähr acht Jahren. Erst habe ich so 30 Seiten geschrieben und dann gedacht: Ach nee, das ist Quatsch und es weggelegt. Aber es hat mich nicht los gelassen und als ich es wieder las, fand ich es doch ganz gut und habe weiter geschrieben.  Aber warum habe ich mich so schwer getan mit der Fiktion? Weil ich Journalistin bin. Weil ich wirklich finde, dass das echte Leben die besseren Geschichten schreibt. Das kann man sich nicht ausdenken, was das echte Leben einem bietet. Wenn ich früher fiktional geschrieben habe, dann  habe ich meinen eigenen Geschichten nicht geglaubt. Wenn ich selbst meinen eigenen Geschichten nicht glaube, warum soll dann irgendjemand anderes die Geschichten glauben?

 

 Gutes Stichwort: Wie ist das mit diesem „Spurwechsel“ – vom journalistischen Schreiben zum Fiktionalen? Als Journalistin denkst du dir ja nichts aus. Und nun schreibst du einen ganz und gar fiktionalen Text. Der Bezugspunkt ist nicht die Realität, kein „wahres“ Geschehen. War es schwer, eine Geschichte zu erfinden?

 

Ich habe mir die Geschichte gar nicht ausgedacht.  Habe mich hingesetzt und gedacht: Jetzt oder nie. Und habe geguckt, was kommt. Dann habe ich von dem, was gekommen ist, die Geschichte einfach entwickelt. Ich wusste ewig lange nicht,  was diese Hauptfigur erlebt. Das einzige, was von Anfang an da war, war diese ältere Frau, die aus dem Fenster guckt und ein junges Mädchen sieht. Diese beiden Figuren waren sofort da.  Und das junge Mädchen hat grüne Augen. Von da aus habe ich mich einfach vorgetastet. Ich dachte, okay, es muss irgendwie eine Relevanz haben. Was hat heute Relevanz?  Was ist heute relevant? Da bin ich auf die Idee gekommen mit der Schuld. Wie geht man mit Schuld um?

 

Da war also ganz am Anfang das Generationenthema: ältere Frau trifft auf junge Frau. Und dann gab es das Thema Schuld. Und wie ist die Verknüpfung?

 

Die ältere Frau hat etwas erlebt, worüber sie nicht sprechen kann. Deswegen wird dieses junge Mädchen zu einer Obsession. Sie denkt sich in dieses junge Mädchen hinein und erzählt das Leben des jungen Mädchens. Aber wir wollen eigentlich etwas vom Leben der älteren Frau wissen.  Und so hat sich das entwickelt.  Am Ende musste ich das natürlich irgendwie zusammenbasteln.

 

Ich weiß, du bewunderst ja schon lange die brasilianische Schriftstellerin Clarice Lispector. Eine Autorin, bei der es keine ausgeprägten Handlungen gibt. Die Bücher leben vom Innenleben der Figuren, von intensiven Beschreibungen so als würde man eine Kamera stundenlang auf einen Gegenstand halten. Ist diese Schriftstellerin für dich Vorbild?

 

Ich verehre Clarice Lispector. Es wäre sehr anspruchsvoll heute so zu schreiben wie sie. Unser Leseverhalten hat sich komplett geändert.  Wir entscheiden sehr viel schneller, ob wir uns auf eine Geschichte einlassen oder sie weglegen. Und da spielen auch sekundäre Faktoren eine Rolle. Wer mein Buch liest, der liest ein Buch einer Autorin, die als Schriftstellerin eine völlige Newcomerin ist. Ich glaube, die innere Bereitschaft, sich auf so etwas einzulassen, ist heute viel kleiner, als wenn man einen bekannten Autor liest.  Deswegen fand ich von Anfang an, was ich schreibe, muss auch eine klare Sprache haben. Und eine Handlung haben. Nur Genies können 300 Seiten schreiben, ohne dass etwas passiert und kommen damit durch. Bei Clarice Lispector habe ich jedenfalls das Gefühl, jeder Satz ist mehr als ein Satz. Sie sagt ja auch, am Ende eines Wortes ist ein Sprung, so ungefähr. Ich habe das immer so verstanden: ein Sprung zum nächsten Wort. Ich habe Lispector in meinem auch eingebaut.  Sie taucht da irgendwie drin auf.

 

Ach, das bringt mich auf die Idee: Wer diese Textstelle entdeckt, darf der oder die dann mit dir einen Kaffee trinken?

 

Unbedingt. Ja, sie wird eingeladen.

 

Woher weiß man eigentlich, dass der Text fertig ist?

Ich wusste der Text ist dann fertig, wenn die Figur A und die Figur B zusammengeführt sind.

 

Wenn die miteinander sprechen?

Wo etwas passiert, wo es nicht mehr weitergehen kann. Ich kann doch jetzt hier nicht den Plot erzählen!

 

Stimmt! Verständlich. Dann frage ich woanders weiter. Du hast bundesweit einen Namen, zumindestens in bestimmten Kreisen. Es gibt viele Frauen, aber nicht nur, die deine Texte toll finden. Da müsste es ja eigentlich einfach sein, einen Verlag zu finden. Wie waren deine Erfahrungen bei der Suche nach einem Verlag?

Das ist natürlich schmeichelhaft, wenn du sagst, ich hätte einen Namen. Wenn, dann eher in Insiderkreisen. Vor zwei Jahren entschied ich: Der Roman ist fertig. Und war dann auf der Suche nach einem Literaturagenten oder – agentin. Und habe von einigen auch sehr positive Resonanz bekommen.  Und dann haben sie am Ende immer gesagt, sie machen es nicht. Ich habe es echt nicht verstanden. Ich habe auch gute Anregungen bekommen, von der ersten Agentin zum Beispiel. Und habe das dann nochmal überarbeitet. Und dann habe ich irgendwann gedacht, ich gebe mir noch einen Versuch, ich suche jetzt selbst einen Verlag und habe es Ulrike Helmer geschickt. Sie hat einen Verlag, für den die Sicht der Frauen auf die Welt wichtig ist. Sie hat mir noch am gleichen Tag zurückgeschrieben, sie hätte sich festgelesen. Eine Woche später oder so hat sie geschrieben, sie macht's und ob ich mit im Boot sei. Da habe ich nicht Nein gesagt.

 

Gab es während dieser zwei Jahre des Suchens und der Absagen auch mal einen Punkt, wo du aufgeben wolltest?

Nein, ich hätte den Roman in jedem Fall veröffentlicht. Dann hätte ich ihn eben im Selbstverlag rausgegeben. Sonst kann man es nicht abschließen. Und jetzt finde ich, ich müsste eigentlich ein neues Projekt anfangen..

 

Und wie sieht es damit aus? Schon etwas in der Pipeline?

Nein. Ich hatte ja beim ersten Mal auch keine Idee! Ich habe mich einfach hingesetzt und habe mir gesagt: Jetzt schreibst du mal eine Seite. Dann habe ich die Seite geschrieben. Und dann eine zweite. Das  war eben so interessant, dass da gleich die beiden Figuren auftauchten.

 

Kannst du jetzt problemlos  zum Journalismus zurückgehen?

Das ist eine schwierige Frage. Ich merke, dass es Veränderungen gibt in meinem Leben. Früher hätte ich zum Beispiel nie ein Thema, das ich gut fand, an jemand anderen delegiert. Und heute bin ich froh, wenn ich irgendwas nicht machen, nicht irgendwo hinfahren und in irgendeinem Billighotel übernachten muss. Von daher, es hat schon für mich einen Reiz, weiter belletristisch zu schreiben. Aber: Wenn ich jetzt neu was versuche, bin ich wieder da, wo ich vor acht Jahren war. Ich glaube meiner Fiktion nicht. Ich schreibe was und denke dann, ach nee, das bringt es jetzt wirklich nicht. Es ist offenbar ein langer Prozess, da wieder hinzukommen, dass ich meinen eigenen Fiktionen glaube.

 

Liebe Waltraud, vielen Dank für das Gespräch. Ich wünsche dir viel Erfolg!

 

 

 

 

 

 

 

 

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