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Blühende Landschaften in Wolkenstein

Wie sich herausstellen wird, ist die Wahl ein Glücksfall. In jeder Hinsicht. Das 1.600-Seelen-Dorf Wolkenstein liegt auf 620m Höhe und hat eine ganz besondere Atmosphäre. Ein idealer Ausgangspunkt für Wanderungen.

 

 Abfahrt

 Es ist alles wie immer. Wir sind sehr rechtzeitig am Bahnhof. Im Prinzip eine gute Idee. Denn wer will schon zum Zug hetzen. Aber angesichts der üblichen Verspätungen der Züge, heißt es dann, lange auf irgendeiner Bahnhofsbank zu verweilen…Heute sind es dann doch nur 20 und nicht wie angekündigt 40 Minuten Verspätung.

 

Wie immer ist meine Reisebegleiterin ganz sicher, dass wir trotz Sitzplatzreservierungen keine Plätze bekommen, dass es am Ankunftsort heute nichts zu essen geben wird, das Wetter ganz ungünstig ist, kalt und regnerisch etc. Sie ist eine Weltmeisterin darin, sich vorzustellen, was wahrscheinlich alles nicht klappt. Ich halte aus Prinzip dagegen.

 

Es geht zuerst nach Leipzig, dann mit dem Deutschlandticket, gefühlt kostenlos, weiter nach Chemnitz und von dort nach Wolkenstein. Natürlich ist es kein Problem, die bezahlten Sitzplätze in Anspruch zu nehmen (und die Regionalzüge sind menschenleer).Schließlich haben wir ja reserviert!

 

Die Schaffner*innen sind ausgesprochen freundlich, die Züge pünktlich und sauber. Sachsen hat bei uns schon auf der Hinfahrt ordentlich Punkte gesammelt.

 

Die Strecke von Chemnitz nach Wolkenstein ist wunderschön, wir fahren fast immer an einem Flüsschen namens Zschopau entlang. Einfach idyllisch.

 

Als wir in Wolkenstein ankommen, sieht man zuerst einen riesigen Felsen. Auf diesem Felsen steht in großen Lettern geschrieben: „Bergstadt Wolkenstein“. Meine kletterbegeisterte Begleiterin entdeckt sofort, aber sofort!  einen Klettersteig und kletternde Menschen. Immer wieder wird in den nächsten Tagen ihr Blick zur Felswand ´wandern. Sehnsuchtsvoll.

 

Danach erblicken wir am Bahnhof ein „Zughotel“. Wer will, kann hier – statt Ferienwohnung oder Pension – in einem DDR-Zugabteil übernachten. Vor diesem Hotel ist ein kleiner Imbiss. Da ist immer ein bisschen was los, wenn nirgendwo im Örtchen mehr was los ist.

 

Wie wir noch erleben werden, spielt Vergangenheit in dem Dorf eine große Rolle, nicht nur DDR-Vergangenheit.  

Vor allem die Erinnerung an die Zeit des Bergbaus wird überall wachgehalten. Der Name Erzgebirge muss ja irgendwo herkommen. Überall auf den Wanderwegen stehen wir vor früheren Schächten und werden informiert, was hier alles früher abgebaut wurde.

 

Das Dorf Wolkenstein

Wir müssen unser Gepäck rund 200 Meter den Berg hochschieben. Oben angekommen sehen wir die  Burg. Die wurde irgendwann in "Schloss" umgetauft. Es gibt auch eine Kirche und einen Kräutergarten. Wir schlendern vorbei an dem historischen Gasthaus „Zum Grenadier“, das demnächst - zum 10. Mal das 31. Burgfest ausrichtet.

An einem Abend werden wir hier aus Neugier ein Bier trinken und stellen fest, dass sich hier zwar vieles um vergangene Zeiten dreht, vor allem um einen Volkshelden namens Karl Stülpner und eine Vorliebe für Militäruniformen des 19. Jahrhunderts die Innenausstattung prägt.

Aber irgendwie ist es auch einfach eine Kneipe, in der auch Normalos ohne Hang zum Miliärischen ihr Bierchen trinken.

An unserem Schnupper-Abend kommen wir mit einer Amerikanerin ins Gespräch, die zu einer große Gruppe von Menschen aus vielen Ländern gehört. Die gemeinsame Leidenschaft der Menschen in der bunten, fröhlichen Gruppe: Das Sammeln von Nummernschildern! Ja, genau. Ich frage mehrmals nach, aber ich habe richtig verstanden. So was gibt es! Später entdecke ich in der Nähe vom Bahnhof ein Schild: „Museum Nummernschilder“. Das befindet sich ganz in der Nähe von Wolkenstein.

 

Entzückt von Wolkenstein und Der Kurfürstin

Wir sind entzückt, dass es oben einen kleinen Platz gibt mit einer Bäckerei, einer Apotheke, einem Lebensmittelladen. Es gibt sogar ein Restaurant, das auf schick macht.  Da waren wir einmal essen. War in Ordnung. Am besten wird es uns beim Griechen „Rhodos“ gefallen, bei Dimitri. Zweimal sind wir dort Gast und denken: Ohne die Zu- und Eingewanderten wäre es auch hier kulinarisch ziemlich öde.

Nur heute, an unserem Ankunftstag, dem 30. April, haben tatsächlich alle Restaurants geschlossen.

„Habe ich doch gesagt, dass wir bestimmt nichts zu essen bekommen“, tönt meine Urlaubsbegleiterin.

Sie hat nicht ganz recht.

 

Es gibt noch einen „Pizzaservice“, unsere Rettung.

 

Einzige Alternative wäre eine Bratwurst zu essen, abends auf dem kleinen Dorffest. Es wird an diesem Abend ein großes Feuer bereitet, schließlich ist Walpurgisnacht. Ganz oben aufgeschichtet: eine Hexe. Wir gehen bevor der Haufen angezündet wird.

 

Unsere Pension Zur Kurfürstin ist gut gewählt.

Mandy, die Gastgeberin, war früher Leistungssporterin, Rennradfahren und Langlauf waren ihre Leidenschaften. Sie sieht immer noch sehr sportlich aus. Außerdem ist sie  die Freundlichkeit in Person.

Ihre persönliche Handschrift in der Pension: Überall begegnen einem Schilder mit Texten wie „Ab hier bitte lächeln“ oder „Beginne jeden Tag wie ein neues Leben.“ Wir halten uns natürlich daran.

An jeder Ecke, an den Treppen, im Esszimmer, überall wartet ein Glücksbringerspruch auf uns.

 

Blühende Landschaften:

Am ersten Tag laufen wir einen Rundweg, der in unserem Erzgebirge-Wanderführer mit 4,5 Stunden ausgewiesen wird. Wir brauchen allerdings 6 Stunden. Eine Einkehrmöglichkeit gibt es nicht, macht nichts. Einkehren beim Wandern ist ohnehin überbewertet.

 

Wir wandern in den nächsten Tagen kreuz und quer. Vorbei an blühenden, knallgelben Rapsfeldern. Übersäht mit Pusteblumen und Löwenzahn. Wir hören an unseren Wandertagen den Rotmilan, natürlich die Tannenmeise und andere Meisen. Wir entdecken neue Pflanzen: den Spitzahorn, den zweigriffeligen Weißdorn (große Büsche), die Sumpf-Dotterblume; die rote Lichtnelke, das einjährige Silberblatt. Seltene Tiere sehen wir leider nicht. Einmal schleicht ein Fuchs über die Wiesen.

Wir verirren uns, finden neue Wege, entdecken ein „Jägerdenkmal“ (im Andenken an Jemanden, der sich 1937 aus Versehen bei der Jagd selbst mit einem Gewehrschuss erledigt hat). Sind beglückt von der Stille, den Baumalleen, dem satten Grün und dem knalligen Gelb. Fast überall menschenleer.

 

Manche Ziele entpuppen sich als ungastliche, ungemütliche Städte, die wir dann so schnell wie möglich mit dem Bus verlassen.

 

Einmal überqueren wir die tschechische Grenze und erfahren, dass hier 10.000 Deutsche 1945 ihre Heimat verlassen mussten. Die Stadt wird in Vejprty umbenannt. Wer hier in der Grenzregion entlangwandert, stößt noch heute auf Spuren vom 30-jährigen Krieg. Gedenktafeln erinnern auch an frührere Fabriken. Es ist eine menschenleere, verlassene Gegend, Niemandsland. 

Verliebt haben wir uns in ein Städtchen namens Annaberg-Buchholz. Wir sind wir auf der noch sehr sonnigen Terrasse die einzigen Gäste und speisen köstlich. Dem Personal merkt man an, wie bedrückend die Situation ist, weil keine Gäste da sind. „Früher kamen um diese Zeit viele Busse mit Touristen. Die bleiben jetzt weg. Viele haben vermutlich kein Geld mehr für Urlaub“, erzählt ein Angestellter. 

 

Überall begegnen wir an diesen Tagen freundlichen, gesprächigen Menschen. In der Pension Zur Kurfürstin lernen wir ein altes Pärchen kennen, das zur Feier eines ihrer Enkel gekommen ist. Er ist 91, sie 88 Jahre. Beide bewegen sich zwar behutsam, aber sind keineswegs  gebrechlich.

 

Es gibt auch Unangenehmes.

Umgekippte Wahlplakate, zum Beispiel der Linken. Auf einem wurde der Claim „Gerechtigkeit geht nur mit links“ zum Schluss verändert. Aus „links“ wird „AF…….“

 

Die Folgen der Corona-Pandemie sind hier noch sichbar. Wir entdecken Autos mit Sprüchen wie „Mensch zweiter Klasse. Gesund und ungeimpft.“

 

Armut sehen wir keine. Jedenfalls keine Obdachlosen, keine verwahrlosten Menschen. Gibt es sie nicht? Oder ist die Armut einfach im öffentlichen Raum nicht sichtbar? Trügt die Idylle? Wir wissen es nicht.

 

Uns hat die Idylle gutgetan.

 

Abschied

Am Sonntag steigen wir wieder in unsere schöne Erzgebirgsbahn. Es geht zurück nach Chemnitz, wieder entlang an dem Fluss Zschopau.

 

Wir sind beglückt von den Tagen hoch oben auf dem Wolkenstein im mittleren Erzgebirge. Wir wissen jetzt schon, dass wir die Stille und die Einfachheit vermissen werden.

 

Am 10. Mai findet wie eingangs erwähnt hier das 31. Burgfest statt mit Ritterspielen, Tänzchen, bestimmt rustikalem Essen und mittelalterlichen Spielchen.

 

Was für ein Glück, dass wir noch die stillen Tage erwischt haben.

 

 

 

 

 

 

 

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Kommentare: 2
  • #1

    Elke Reimer (Freitag, 10 Mai 2024 09:44)

    Liebe Gabriele,

    wie schön ist es Deinen Reisebericht zu lesen und die Orte Wolkenstein und Annaberg erinnern mich an meinen lieben Nachbarn Achim, der dort geboren und aufgewachsen ist. Er war Radrennfahrer, kennt diese Gegend durch viele Radtouren und schwärmt immer von der schönen natürlichen Landschaft. Ich habe gerade 5 Tage Dresden über Stefan seine Eltern gebucht. Sie vermieten über Ferienhäuser.de ein gemütliches Ferienhaus mit wunderschönem Garten und ich werde gemeinsam mit meiner Freundin Angelika am 2. Oktober ein Orgelkonzert in der Frauenkirche besuchen.

    Herzliche Grüße

    von Elke

  • #2

    Marie Krüger (Donnerstag, 16 Mai 2024 20:27)

    Liebe Gabriele
    Wunderbar diesen Reisebericht zu lesen. Mit Humor verfasst, bin ich beim Lesen am Schmunzeln und der Text ist leichtfüssig erzählt. Sehr schön!

    Herzlichen Gruß, Marie